Religion im Abseits

Der Startschuss für den Weltjugendtag 2011 in Madrid fiel auf dem Plaza de Cibeles, wo traditionell der Fußball-Club Real Madrid seine Siege feiert.

Fußball – du Volkssport Nummer eins, du Glaubensgemeinschaft nicht der Christen, Protestanten, Muslime, Buddhisten, Hindustani. Fußball – du Glaubensgemeinschaft der Fans.

Der Begriff des „Fan(s)“ hat seinen Ursprung im lateinischen fanaticus, was mit „religiös schwärmerisch“ übersetzt werden kann und später und seither als Sakralwort „von der Gottheit ergriffen und in rasende Begeisterung versetzt“ bedeutet. [1] „Fußballgott“ und „heiliger Rasen“: kehrt Religion in die Fußball-Stube ein oder hält Fußball als Religionsersatz Einkehr in die Wohnzimmer der Fans?

Die Fan-Zeitung der Schalker Fan-Initiative e.V. trägt den Titel „Schalke Unser“ und die FC Bayern München-Anhänger singen das aus Willy Astors Feder entsprungene Lied „FC Bayern, Stern des Südens, du wirst niemals untergehn, weil wir in guten wie in schlechten Zeiten zu einander stehn, FC Bayern, Deutscher Meister, ja, so heißt er mein Verein, Ja, so war es und so ist es und so wird es immer sein!“ wie die Katholiken das „Vater unser“ verinnerlicht haben. Fans beten für den Sieg ihrer Mannschaft, weihen einzelnen Spielern Heimaltäre, die Reliquienschreine ähneln und an Marienkulte erinnern und pilgern zu Spielen. Kult Fußball als Religion im Abseits, welche ähnliche Bedürfnisse befriedigen kann wie bisher nur von althergebrachten und jahrtausendealten, geschichtsträchtigen Religionen gedacht?

Kirchen wie Stadien sind als geweihte Orte für geweihte Handlungen nur zu bestimmten Zeiten zugänglich und von einem besonderen Verhaltenscodex, wichtigen Zeremonien und Ritualen durchdrungen. Massenchoreographien wie die La-Ola-Welle, kollektive Bewegungen wie gemeinsames Hüpfen [2] und auch „[d]er feierliche Einzug der Spieler, die antiphonalen Gesänge beim Vorstellen der Spieler, die liturgische Fankleidung: Schal statt Pallium, Zipfelmütze statt Mitra, die Fahne statt Tragekreuz – all das wirkt liturgisch.“ [3] Was in der Kirche – vom gemeinsamen Gebet über Singen bis zum Empfang der Hostie – erst in der Gemeinschaft vorgelebt und erfahrbar wird, formt und stiftet auch das Fantum, den Glauben an die eigene Mannschaft. Durch gemeinsame Handlungen, Gefühle und vertiefte Beziehungen geeint, lässt der Zusammenhalt in der Fankurve den Einzelnen an einer Ordnung teilhaben, die zeitweilig als göttlich hypostasiert wird und alle gleich stellt.

Fußballstadien und die beinahe überirdische Potenz von Fußballevents üben wohl eine schier schrankenlose Integrationskraft aus, die mich bis dato nicht bekehren konnte.
Sprechen wir diesfällig noch von Glauben oder eher von beschwörenden, magischen Ritualen, die einen Sieg herbeiführen sollen?
Der Anthropologe Bronislaw Malinowski beschreibt die Funktion der Magie im Allgemeinen als „den Optimismus des Menschen zu ritualisieren, seinen Glauben an den Sieg der Hoffnung über die Angst zu stärken.“ [4]

Doch bei all dem magischen Spannungserleben, dem Zusammenhalt „in guten wie in schlechten Zeiten“ und der Sonderweltlichkeit, die das Fan-Sein ermöglicht, wo ist da Gottes Trost und seine Vertrauen schenkende Hand? Hilft ein Sieg, eine Sinnkrise zu bewältigen oder einen Todesfall zu verarbeiten? Gibt der Glaube an eine Mannschaft Halt, wenn existentielle Fragen dir den Boden unter den Füßen entziehen?
Ist Glaube - egal welcher Natur - die einzig verlässliche Quelle von Orientierung oder resultiert aus diesem weit gespannten Glaubensbegriff schließlich eine Glaubenskrise?







[1] Vgl. Dudenredaktion (Hrsg.): „Fan“ In: Herkunftswörterbuch. Etymologie der deutschen
Sprache. Duden Band 7,3., Mannheim 2001, S. 204.
[2] Vgl. Reinhard Kopiez : Alles nur Gegröle? Kultische Elemente in Fußball-Fangesängen. In
Herzog, Markwart: Fußball als Kulturphänomen. Kunst – Kult –Kommerz. Stuttgart 2002, S.
289ff.
[3] Andreas Merkt: Fußballgott. Elf Einwürfe. Köln 2006, S. 35.
[4] Bronislaw, Malinofsky: Magie, Wissenschaft und Religion. Frankfurt am Main 1983, S. 74.

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