Fürchtet euch sehr!

H5N1. Im Jahr 2005 sterben in Asien Geflügeltiere und Vögel an einer besonders aggressiven Form dieses Grippevirus. Kurze Zeit bevor die Zugvögel aus dem Süden nach Europa zurückkehren sollten, löst die Erkenntnis, dass die Übertragung der Vogelgrippe auch auf den Menschen möglich und wahrscheinlich sei, panische Verunsicherung in der Bevölkerung aus.

H1N1. Im Jahr 2009 bedroht der neuartige, aus Mexiko kommende Subtyp A/H1N1 – die Schweinegrippe – die Welt. Am 11. Juni 2009 rief die WHO daher die Pandemie aus.

Es folgen Sonderserien, Brennpunkte, Spezialausgaben. Interviews mit Experten, Politikern, Experten, Politikern. Angsteinjagende Headlines (bei der Bild-Zeitung sogar in zittriger Linienführung mit grün-gelbem Font) und Schicksalsberichte von Erkrankten tun ihr Bestes eines zu vermitteln – nämlich: Fürchtet euch sehr!

Allgemeine Betroffenheit ist erzeugt. Spannend an diesem Punkt ist, wie diese Betroffenheit weiter gemünzt wird. Nachdem, gewollt oder ungewollt – das sei in den Raum gestellt – ein Kollektiv potentiell Beteiligter erzeugt ist, werden partielle Wissensbrocken unter die Bevölkerung gebracht, um ein Mindestmaß an Kompetenz und Bewusstsein für die mögliche Gefährdung zu entwickeln. Unkontrollierbare Fälle wie die Vogel- oder Schweinegrippe jedoch lösen bei den mittelbar oder unmittelbar Betroffenen einen verheerenden Verlust an Sicherheit, Kontrollierbarkeit und Vorhersehbarkeit aus. Als „zirkuläre Dauertätigkeit des Erzeugens und Interpretierens von Irritation durch zeitpunktgebundene Information“ [1] beschrieb Niklas Luhman die Funktion bzw. Arbeit der Medien . Widersprüchliche Auskünfte und eine Flut an Bildern erzeugen einen allgemeinen Zustand der Verwirrtheit. Zugleich war nicht daran gedacht, die Mündigkeit der potentiell Betroffenen soweit zu stärken, dass sie Subjekt ihres Geschehens werden, um individuell oder kollektiv auf eine Belastung wie diese reagieren zu können. Stattdessen sollte das Ganze in den Händen der Fachleute (vor allen Dingen Politiker) bleiben, die sich dem Problem ermächtigt und für sich die Zuständigkeit reklamiert haben, mit diesem Phänomen umzugehen und es zu verwalten.

In Erzeugung dieser verängstigten Masse haben wir nun eine Mischung aus notwendiger, erzeugter Betroffenheit und abgegebener Zuständigkeit. Aufregung wird produziert, um danach Abregung und Besinnung zu fordern. Die Sache ist aber die: dass eine Abregung nicht zustande kommt liegt fast schon in der Natur der Sache. Denn werden die sogenannten "Verantwortlichen" nicht unserem verstärkten Informationsbedürfnis gerecht und gibt es schlicht und ergreifend nicht ausreichend Gegenmittel und Impfstoffe (die außerdem schwerwiegende lebensbedrohliche Folgen zur Nebenwirkung haben können), so hilft hundertmal Vertrauen in den lieben Herrn Minister nichts mehr.

Und dann, dann sind wir wahnsinnig hysterisch. Denn bewegt sich die inszenierte Masse nicht in die gewünschte Richtung, sprich, nicht auf staatlich vorgesehene Bahnen, ist sie unbeherrscht. Unbeherrscht und hungrig und unersättlich. Und je nach dem, von welcher Richtung der Wind weht, landet der Samen „Virus“ – geschaffen aus produzierten Zweifeln, Widersprüchen und Fragen – auf dem fruchtbaren Boden „Gesamtpopulation".

Sind Massen in Bewegung und kollektive Irrationalität nicht das Letzte, was man in entzündlichen Zuständen wie diesen brauchen kann?







[1] Niklas Luhman: Die Realität der Massenmedien, VS Verlag für Sozialwissenschaften, 4. Auflage 2010, S.119.

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